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Resilienz im echten Leben: Warum kleine Schritte mich durch chaotische Zeiten tragen


Bild: Frau sitzt lesend auf Sessel (Quelle: freies Bild von  www.pexels.com)
Bild: Frau sitzt lesend auf Sessel (Quelle: freies Bild von www.pexels.com)

Es gibt Phasen im Leben, da passt nichts in ein perfektes Selbstfürsorge-Konzept. Die Tochter ist krank, der Kopf voll, der Kalender eng getaktet – und trotzdem läuft das Leben weiter.

Genau in so einer Phase stecke ich gerade.

Ich arbeite Vollzeit, begleite Menschen als Resilienzcoach – und merke gleichzeitig: Ich komme an meine Grenzen. Nicht theoretisch. Ganz real.

Und genau hier zeigt sich für mich, was Resilienz wirklich bedeutet.


Resilienz heißt nicht: alles im Griff haben

Lange Zeit dachte ich (bewusst oder unbewusst): Wenn ich resilient bin, dann

  • mache ich regelmäßig Yoga

  • ernähre mich „sauber“

  • reagiere gelassen

  • und habe meine Routinen im Griff

Heute weiß ich: Das ist ein Mythos.

Resilienz bedeutet nicht, nie zu straucheln.Resilienz bedeutet, freundlich mit sich zu bleiben, wenn man strauchelt (vgl. Neff, 2003).


Wenn alte Muster kurz zurückkommen dürfen

In stressigen Phasen greife ich manchmal wieder zu alten Essgewohnheiten. Nicht, weil ich „schwach“ bin, sondern weil mein Nervensystem das so gelernt hat.

Aus neurobiologischer Sicht ist das logisch:Unser Gehirn greift unter Stress bevorzugt auf alte, bekannte Regulationsstrategien zurück, selbst wenn wir neue gelernt haben. Das liegt daran, dass Stress die Aktivität des präfrontalen Cortex reduziert – also genau der Hirnregion, die für bewusste Steuerung und Selbstkontrolle zuständig ist(vgl. Arnsten, 2009).

Der Unterschied zu früher?

👉 Ich erkenne es.👉 Ich verurteile mich nicht dafür.👉 Und ich sage mir: Morgen darf es wieder anders sein.

Diese Haltung nennt man in der Forschung Selbstmitgefühl und Studien zeigen klar: Menschen mit höherem Selbstmitgefühl regulieren Stress nachhaltiger als Menschen mit hoher Selbstdisziplin, aber wenig Nachsicht(vgl. Neff & Germer, 2013).


Kleine Dinge, die mein Nervensystem wirklich erreichen

Manche Tage schaffe ich mein morgendliches Yoga.Manche nicht.

Früher hätte ich das als Scheitern bewertet.Heute frage ich: Was ist heute möglich?

Und manchmal ist das:

  • 20–30 Minuten Musik hören, weil Musik direkt das limbische System anspricht und nachweislich Stresshormone wie Cortisol senken kann(vgl. Thoma et al., 2013; Koelsch, 2014)

  • Zehn Minuten länger liegen bleiben, statt mich zu zwingen – ein bewusster Wechsel aus dem Leistungs- in den Regulationsmodus

  • Visualisierung, wenn Bewegung gerade nicht geht


Warum Visualisierung wirkt – wissenschaftlich erklärt

Visualisierung ist kein „positives Denken“. Sie ist ein neurobiologisches Werkzeug.

Studien zeigen: Das Gehirn aktiviert bei vorgestellten Handlungen ähnliche neuronale Netzwerke wie bei realen Erfahrungen. Besonders beteiligt sind dabei Areale, die für Emotionen, Motivation und Stressregulation zuständig sind(vgl. Kosslyn et al., 2001; Jeannerod, 2001).

Das bedeutet:Wenn ich mir bewusst vorstelle,

  • wie es sich anfühlt, ruhig zu sein

  • wie mein Körper entspannt

  • wie ich mit mehr Gelassenheit durch meinen Tag gehe

… dann trainiere ich mein Nervensystem in Richtung Sicherheit, auch wenn die äußeren Umstände gerade chaotisch sind.

Ich nutze diese Technik oft morgens: Wenn Yoga nicht geht, dann stelle ich mir das Gefühl vor, das Yoga mir geben würde. Und erstaunlicherweise: Mein Körper reagiert darauf.


Weicher statt absolut – mein größter Lernprozess

Der größte Unterschied zu früher ist nicht meine Technik. Es ist meine Haltung.

Ich bin weniger absolut. Weniger hart. Weniger „entweder ganz oder gar nicht“.

Und genau das macht mich heute belastbarer als früher(vgl. Neff, 2003).


Ein Blick zurück: Mein Körper als Kompass

Vor zwei Jahren war ich in einem toxischen Arbeitsumfeld. Ich hatte Bluthochdruck. Mein Immunsystem war geschwächt.Ich war dauerhaft im Überlebensmodus.

Heute bin ich wieder angestellt und ja, es ist fordernd.Aber:

  • Ich mag mein Team

  • Ich gehe gern zur Arbeit

  • Ich spüre Stress früher

  • Und mein Körper ist stabiler

Große Langzeitstudien zeigen, dass chronischer Arbeitsstress und belastende Arbeitsbedingungen das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich erhöhen(vgl. Kivimäki et al., 2012).

Das zeigt mir: Resilienz wächst nicht durch Perfektion, sondern durch passende Umfelder und Selbstverbundenheit.


Resilienz im Chaos ist echte Resilienz

Ich teile das nicht, weil ich alles im Griff habe. Sondern weil ich mitten im Leben stehe.

Und weil ich sehe:👉 Die kleinen Dinge tragen.👉 Die innere Haltung macht den Unterschied.👉 Und Fortschritt zeigt sich oft erst im Rückblick.

Wenn du gerade selbst im Chaos steckst: Du machst nichts falsch, wenn du weich bleibst. Du trainierst gerade genau das, was Resilienz ausmacht.



Quellen (Auswahl)

  • Neff, K. D. (2003). Self-compassion: An alternative conceptualization of a healthy attitude toward oneself.

  • Neff, K. D., & Germer, C. K. (2013). Mindful self-compassion and stress regulation.

  • Arnsten, A. F. T. (2009). Stress and the prefrontal cortex.

  • Thoma, M. V., et al. (2013). The effect of music on the human stress response.

  • Koelsch, S. (2014). Brain correlates of music-evoked emotions.

  • Kosslyn, S. M., et al. (2001). Neural foundations of imagery.

  • Jeannerod, M. (2001). Neural simulation of action.

  • Kivimäki, M., et al. (2012). Work stress and cardiovascular disease.

 
 
 

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